Geschichten schreiben

Vorab: Ich bin Quereinsteiger und Autodidakt. Ich habe zwar Bücher darüber gelesen, wie man Geschichten schreibt und Romane entwirft, aber professionell gelernt habe ich es nie. Der folgende Ablauf hat sich bei mir im Laufe der Zeit herauskristallisiert, er funktioniert für mich.

Ich mag es, ein fertiges Konzept zu haben, bevor ich mit dem Schreiben anfange. In der Informatik nennt man das Top-Down-Design. Ich habe dadurch zwar eine langwierige Konzeptionsphase, kann danach aber einfach den Text herunterschreiben.

Andere Autoren bevorzugen Bottom-Up. Sie möchten lieber sofort drauflosschreiben und haben viel schneller sichtbare Ergebnisse. Andererseits werden sie öfter auch einmal Abschnitte verwerfen müssen, wenn sie nachher nicht in das Gesamtbild passen. Am Ende ist das eine Geschmacksfrage, die jeder für sich entscheiden muss.

Die Idee

Das ist vermutlich der schwerste Teil: Eine gute Idee für eine Geschichte. Einen universellen Rat oder ein Patentrezept gibt es dafür nicht. Am besten ist, sich Inspiration in seinem Alltag zu suchen, sei es in Büchern, der Zeitung, aber auch durch Reisen oder schlicht im Fernsehen. Habe ich einen Einfall, und sei es nur eine einzelne Szene oder ein witziger Dialog, nehme ich sofort mein Smartphone und notiere ihn. Irgendwann finde ich vielleicht eine Verwendung dafür.

Meine Geschichten finden ihren Ursprung in der Regel in einer einzigen Szene, die ich vor Augen habe. Bei Elodies Fluch zum Beispiel war es eine Szene von einem französischen Landhaus, in dem nachts während eines Gewitters ein Spuk beginnt. Um diese Szene herum kristallisiert sich dann Stück für Stück die gesamte Geschichte.

Land und Leute

Bevor ich mit der eigentlichen Erzählung anfange, mache ich mir erst einmal einen Spickzettel mit folgenden Angaben:

  • Wann und wo spielt die Geschichte? Je genauer, desto besser! Auch wenn man die Details teilweise nicht braucht, gibt zum Beispiel ein exaktes Datum Hinweise auf die Witterung und den Sonnenstand und lässt die Geschichte realer erscheinen.
  • Wer sind die handelnden Personen? Ihre Namen, ihre Rollen in der Geschichte, ihr Aussehen, ihre Geburtstage. Für die Protagonisten und Antagonisten lohnt es sich sogar, einen vollständigen Steckbrief mit Lebenslauf und Charaktereingeschaften anzulegen, um ihnen mehr Tiefe zu geben. (Tatsächlich existieren solche Steckbriefe für Dian und Miray.)
  • Karten und Gebäudepläne. Sonst befindet sich ein Zimmer schnell am Anfang der Geschichte auf der linken Seite der Treppe und am Ende auf der rechten.
  • Dinge, auf die ich sonst achten muss! Alles, was mir so einfällt und für die Geschichte wichtig ist. Bestimmte Witterungsverhältnisse beispielsweise, oder Dinge, die ich nicht verraten darf, weil sie dem Leser das Ende der Geschichte vorwegnehmen würden. Hier fließen auch Ergebnisse aus Recherchen ein, die ich bei der Konzeption vorgenommen habe.

Bei komplexen Geschichten ist es sicher ratsam, den Spickzettel während der Erzählung dynamisch zu ergänzen. Welche der handelnden Personen hat an welcher Stelle welches Wissen? Wo befinden sich bestimmte Gegenstände zu jedem Moment der Erzählung? So kann man vermeiden, den Überblick zu verlieren und später Bezugsfehler in der Geschichte zu haben, die nachträglich sehr schwer zu korrigieren sind.

Wichtig ist aber auch, einen Überblick zu behalten, was der Lesende an jeder Stelle der Geschichte weiß und was nicht. Sonst tauchen plötzlich Gegenstände auf oder es fehlen wichtige Hinweise, die beim Miträtseln geholfen hätten. Nichts ist frustrierender als ein Krimi, bei dem der Inspektor den alles entscheidenden Beweis am Ende einfach aus dem Hut zaubert.

Szenen

Die Szenen sind das Grundgerüst, an denen sich die Geschichte wie ein roter Faden entlangzieht. Ihr Zweck ist es, den Plot voranzubringen. Dafür sollte jede Szene einen Beitrag leisten, und zwar möglichst exakt einen. Verfolgt eine Szene zwei Handlungsstränge, ist es vielleicht besser, sie in zwei Szenen aufzuteilen. Steuert die Szene gar nichts zur eigentlichen Handlung bei, kann sie gestrichen werden.

Ich verwende für Szenen in meinem Entwurf einen Marker :SCENE:. Der ganze Entwurf setzt sich erst einmal nur aus den Szenen zusammen. Ein Beispiel:

:SCENE: Dian wird vorgestellt
:SCENE: Dian schläft zu Hause ein
:SCENE: Dian wacht in einem Zug auf und muss sich orientieren

Auf diese Art strukturiere ich die gesamte Geschichte zuerst einmal durch.

Mock

In der Computertechnik bezeichnet ein Mock so etwas wie eine Kulisse in einem Westernfilm. Von vorne betrachtet sieht der Mock aus wie ein echter Saloon mit allem Drum und Dran, doch tritt man zur Seite, bemerkt man, dass es sich nur um eine flache Fassade handelt, hinter der sich nichts weiter befindet.

Genau diese Attrappe baue ich mir als nächstes. Ich schreibe die Geschichte vollständig herunter, allerdings in einer sehr groben und kompakten Rohfassung. Rechtschreibung, wortgewaltige Formulierungen, spannende Dialoge? Das ist hier alles völlig nebensächlich, denn dieser Mock wird nicht mehr existieren, wenn die Geschichte fertig ist.

Wichtiger ist, den kreativen Fluss nicht zu unterbrechen. Die Geschichte will raus, also schreibe ich herunter, was mir gerade dazu einfällt. Ich verwende dafür den Marker :TODO:, der mich bis zur ersten vollständigen Fassung begleiten wird.

:SCENE: Dian wird vorgestellt
:TODO: Spannendes Intro, das neugierig macht
:TODO: Dian vorstellen: Er ist Mechaniker in einer Autowerkstatt. Er ist single. Wegen des ungewöhnlichen Namens auch klären, dass es sich um einen Mann handelt.

:SCENE: Dian schläft zu Hause ein
:TODO: Dian macht es sich zu Hause gemütlich. Endlich Wochenende! Er freut sich auf Entspannung und Glotze.
:TODO: Er schläft vor dem Fernseher ein.

So formuliere ich erst einmal die gesamte Geschichte durch.

Danach kommt das erste Probelesen und zugleich ein wichtiger Check. Fehler im Konzept fallen im Mock am besten auf, da die Geschichte hier noch übersichtlich ist. Sie lassen sich jetzt auch noch am besten beheben. Ich kann Szenen tauschen, wenn sie in anderer Reihenfolge mehr Sinn ergeben oder die Spannung erhöhen. Tauchen wichtige Hinweise wie aus dem Nichts auf? Dann kann ich sie zuvor in einer anderen Szene verstecken. Können alle Handelnden an den Stellen wissen, was sie wissen? Stimmt der Erzählrhythmus, oder bin ich an einer Stelle zu schnell und an einer anderen zu langsam? Baue ich meinen Plot vollständig und in sich schlüssig auf? Hier sollte man sehr kritisch sein, denn das ist der beste Moment, um Schwächen im Plot zu korrigieren.

Wenn der Mock dann steht und vollständig zu sein scheint, fängt die eigentliche Aufgabe an.

Erzählen

Immer wenn ich Zeit und Lust habe, werde ich nun einzelne :TODO:-Abschnitte nehmen und auserzählen. Sinnvoll wäre natürlich, dabei von oben nach unten vorzugehen, aber weil das Konzept bereits steht, kann ich mir auch willkürlich einzelne :TODO: herauspicken, beispielsweise wenn ich gerade Lust auf eine ganz bestimmte Szene habe. Tatsächlich arbeite ich oft so und springe in meinem Text wild hin und her.

Ein Abschnitt wirkt noch nicht rund? Ich bin mir nicht sicher, ob ich ein Wort korrekt verwende? Ich habe Einfälle zu anderen Stellen oder beschließe während des Schreibens, dass der Diamant nicht rot ist, sondern blau? Kein Problem! Um den Schreibfluss nicht zu unterbrechen, füge ich in solchen Fällen ein neues :TODO: hinzu. Entweder gleich an die Stelle, die es betrifft, oder (bei allgemeinen Sachen) an das Ende des Textes.

Diese Arbeit wiederhole und wiederhole ich. Es ist der Teil, der die weitaus meiste Zeit konsumiert.

Am Ende steht eine Textfassung ganz ohne :TODO:-Marker. Glückwunsch, die erste Rohfassung ist damit fertig! 🎉

An der Stelle entferne ich dann auch sämtliche :SCENE:-Marker, weil sie von jetzt an nur noch stören werden und den Blick auf schöne, natürliche Szenenübergänge verdecken.

Weil ich dazu neige, viele Füllwörter zu verwenden, gehe ich außerdem einmal durch meine Geschichte durch und versuche, so viele wie möglich zu entfernen, ohne dass der Lesefluss darunter leidet. Meistens hilft es ihm sogar. Ich verwende dafür einen Trick meines Texteditors, von dem ich ein anderes Mal berichten werde.

Rohfassungen

Die Geschichte ist jetzt fertig?

Nein, leider nicht. Ich habe jetzt Textabsätze wie Steine in einem Mosaik zusammengefügt, aber noch nicht geschaut, ob sie ein stimmiges Gesamtbild ergeben.

An dieser Stelle lasse ich mir eine PDF-Fassung mit großem Zeilenabstand und breitem Rand generieren. Diese kopiere ich mir auf ein Tablett mit Zeichenstift. Statt eines Tabletts kann man die Geschichte natürlich auch ausdrucken und einfach einen Bleistift nehmen. Ich bevorzuge aber die papierlose Arbeit.

Auf dem Tablett lese ich mir die Geschichte einmal von Anfang bis Ende durch und markiere alles, was mich stört. Das sind:

  • Rechtschreibfehler
  • Verdoppelte Worte (passiert öfter, als als man denkt)
  • Worte, die sich in kurzen Abständen wiederholen und durch Synonyme aufgelockert werden können
  • Inhaltliche Fehler
  • Passagen, die „holpern“, also schwer zu lesen oder unverständlich sind
  • Absätze, die beim Lesen nicht den gewünschten Effekt haben
  • Alles, was mir sonst auffällt oder mich stört

Wichtig ist, sich die Geschichte ganz durchzulesen und den Lesefluss möglichst kurz für die Notizen zu unterbrechen.

Am Ende nehme ich dann jene Notizen und setze die Änderungen im Text um. Größere Baustellen markiere ich oft zunächst mit einem :TODO: und kümmere mich später darum, wenn ich die Muße dafür habe.

Sind alle Änderungen umgesetzt, gibt es die nächste Rohfassung und das Spiel beginnt von vorne.

Ich wiederhole den Prozess so lange, bis mir nur noch wenige, kleine Korrekturen auffallen.

Wie viele Durchläufe dafür nötig sind, hängt weniger von den eigenen Fähigkeiten als von dem Anspruch an sich ab. Ich habe irgendwo gelesen, dass selbst Bestsellerautoren durchaus mehrere dutzend Runden drehen, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden sind. Bei mir ist es ein Hobby und ich werde gewiss auch keine Literaturpreise gewinnen, also reichen mir meistens fünf solcher Durchläufe.

Eine Geschichte wird niemals perfekt sein. Spätestens wenn man anfängt, nur noch Kleinigkeiten zu ändern und wieder rückgängig zu machen, ist sie reif für den nächsten Schritt.

Probelesen

Zugegeben, das ist der Schritt, der die meiste Überwindung braucht. Vor allem, wenn es die erste Geschichte ist. Aber die Geschichte ist jetzt bereit, mit anderen Menschen geteilt zu werden. Es wäre schade, sie in der Schublade verschwinden zu lassen, nachdem so viel Zeit und Hirnschmalz hineininvestiert wurde.

Ich bitte ein paar Freundinnen und Freunde, denen ich vertraue, meine Geschichte zu lesen und mir ehrliches Feedback zu geben. Ihr Blick ist wichtig, denn mein Blick als Autor ist bereits verdorben.

Ich kenne die Geschichte und ihren Ausgang. Ich kenne nicht nur die Absichten der Protagonisten, ich kenne sogar ihre geheimsten Gedanken und Gefühle, die in der Geschichte nicht offenbart werden. Diesen Blick haben Außenstehende nicht. So finden sie zum Beispiel Stellen, die mir beim Schreiben klar und deutlich erschienen, beim Lesen allerdings Fragen offenlassen.

Sie finden Stellen, die schwer oder unverständlich zu lesen sind. Oder Stellen, wo der Bezug unklar ist oder nicht ersichtlich ist, welche Person da gerade die wörtliche Rede spricht. Ihr ungetrübter Blick ist deshalb unbezahlbar. Aus dem Grund bereite ich sie auch nicht auf den Text vor, sondern werfe sie gnadenlos ins kalte Wasser.

Und egal wie gründlich ich selbst darauf geachtet habe, finden sie immer auch noch ein paar Rechtschreibfehler. 😅

Ich nehme ihre Bemerkungen und Ratschläge dankbar an, auch wenn sie an meinem Ego kratzen. Es ist allerdings mir überlassen, wie ich sie bewerte. Viele Hinweise machen Sinn, ich setze sie dann im Text entsprechend um. Manchmal ist es aber auch nur eine andere Meinung oder eine bloße Frage des persönlichen Schreibstils. Dann ist es durchaus legitim, dass ich meine eigene Variante bevorzuge.

Ob im Anschluss eine zweite Probeleserunde folgt, hängt von dem Umfang der Anmerkungen ab. Wenn nur Kleinigkeiten korrigiert werden mussten, vielleicht nicht. Wenn (was der schlimmste Fall wäre) ein grober Denkfehler aufgefallen ist, der die ganze Geschichte noch einmal gründlich auf den Kopf stellt, macht ein erneutes Probelesen sicherlich Sinn.

Fertig

Hat meine Geschichte auch die Probelesung heil überstanden, ist sie endlich bereit, veröffentlicht zu werden.

Und ich selbst sitze wieder vor einem leeren Dokument und schreibe die ersten magischen Worte :SCENE:.

Und was ist mit Romanen?

Diese Vorgehensweise ist zugeschnitten auf Kurzgeschichten. Für Romane würde man den Plot zunächst in Kapitel unterteilen und diese Kapitel dann in Szenen. Diese Verschachtelung lässt sich beliebig fortsetzen. Eine Buchreihe würde zuerst in Bücher, diese in Kapitel und diese wiederum in Szenen unterteilt werden.

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